Über Noemi
Wir treffen Noemi im Hinterhof ihres Guesthouses in dem kleinen Surfer Örtchen Sagres an der Algarve. Zwischen Hängematten und Surfbrettern steht im Kiesbett ein Zitronenbaum, der Früchte trägt. Nur wenige Gehminuten vom Strand entfernt hat Noemi hier, gemeinsam mit ihrem Partner Willy, aus einem vernachlässigten Ferienhaus eine kleine Oase für Surfer und Urlauber geschaffen - das Lemontree Eco Surfhouse.
Wir sprechen mit ihr darüber, wie sie von einer Psychologiestudentin zur Guesthouse-Inhaberin wurde, über das große Thema Nachhaltigkeit und warum man gewisse Dinge einfach selbst in die Hand nehmen muss.
Die gebürtige Schweizerin studierte an der Uni in Zürich Psychologie, als sie während eines Surfcamp-Aufenthalts in Sagres ihren Partner Willy kennenlernte. Der gelernte Surf- und Skilehrer pendelte zu diesem Zeitpunkt bereits saisonweise zwischen einem Leben am Meer und in den Bergen. Fortan nutzte Noemi ihre Semesterferien, um gemeinsam mit Willy in verschiedenen Surfcamps in Europa zu arbeiten. Doch in der Arbeit in den Camps sahen die beiden keine langfristige Perspektive. Schon damals träumten sie davon, etwas Eigenes zu erschaffen. Es blieb jedoch erstmal nur bei einem Traum.
Sagres, Portugal
„Dieser Ort hat eine bestimmte Magie, es ist ein bisschen so, als wäre man verliebt, man kann nicht genau beschreiben, was es ist, aber es ist da. Die Meeresluft, der Sternenhimmel, den man hier so klar sieht, die atemberaubende Landschaft und der Wind, all das hat mir immer dieses Gefühl von “I need to come back” gegeben.”
Zum Umzug nach Sagres
Sie verliebten sich in den kleinen Ort Sagres an der westlichsten Spitze der Algarve, der einst als Ende der Welt bezeichnet wurde. Während eines Besuchs der örtlichen Eisdiele entdeckten sie an einem verwucherten Nachbarhaus ein Schild, welches auf portugisisch, die handgeschriebenen Worte „zu verkaufen“ zierte. Ohne sich vorab genauere Gedanken über die Finanzierung zu machen, vereinbarten sie spontan einen Besichtigungstermin. Das vernachlässigte Haus mit drei Zimmern und zwei Garagen entsprach nicht auf Anhieb ihren Vorstellungen. Doch die perfekte Lage in Stadt- und Strandnähe sowie die zugesicherte Unterstützung der Familien überzeugte sie schließlich zum Kauf. Mit Glück schafften sie es während des zweiten, europaweiten Lockdowns noch über die Grenze, gerade rechtzeitig zu ihrem Termin beim Notar.
„Es hat nichts darauf hingedeutet, dass unser Projekt ein Erfolg wird. Es hat eigentlich an allem gefehlt. Niemand von uns hatte Erfahrungen in der Hotellerie oder einen handwerklichen Beruf gelernt. Auch unsere finanziellen Mittel waren super begrenzt. Alles hätte scheitern können. Aber wir hatten ein Ziel vor Augen und sind in einen Modus gefallen, in dem wir einfach funktioniert haben.“
die Renovierung
Sie schufen sich ein improvisiertes Matratzenlager auf dem Boden der Garage, luden befreundete Surfer:innen zu sich ein und begannen gemeinsam, Raum für Raum das Haus in ein liebevolles Guesthouse zu verwandeln – ganz nach dem Motto "Learning by Doing". Zeitgleich jonglierte Noemi zwischen den Handgriffen der Renovierung und dem Verfassen ihrer Psychologie-Bachelorarbeit. Die Renovierung des Hauses gestaltete sich als eine Reise des Neuerfindens und der Wiederverwertung. Mit einem starken Sinn für Nachhaltigkeit versuchten sie so viel wie möglich von den alten Materialien wiederzuverwerten.
„Wir haben alte Einbauschränke und Regale abgebaut und aus dem Holz etwas Neues geschaffen. Man findet überall irgendwelche Türen, Schubladen und Teile, die ursprünglich mal was anderes waren.“ Nach nur drei intensiven Monaten öffneten sie die Türen ihres liebevoll renovierten Hauses für die ersten Gäste. Heute beherbergen sie in drei gemütlichen Doppelbett-Zimmern und einem geräumigen Apartment bis zu 11 Personen. Das Haus kombiniert auf geschickte Weise einen Rückzugsort mit einem Ort des Zusammenkommens und vermittelt dieses schöne Gefühl von einem Zuhause, fern von Zuhause.
Über die Wahl eines nachhaltigen Weges
„Unser Ziel war, nicht einfach ein weiteres Surfcamp zu werden, das zum Supermarkt fährt und seinen Gästen massenweise in Plastik verpackte Lebensmittel vorsetzt. Während unserer Arbeit in verschiedenen Surfcamps haben wir miterlebt, wie viel Plastikmüll Woche für Woche produziert wurde, weil eben auf klassische Einkäufe aus dem Supermarkt zurückgegriffen wurde. Ich konnte nie so wirklich verstehen, warum nicht verstärkt mit lokalen Bauernhöfen oder Händlern zusammengearbeitet wurde. Deshalb waren wir von Anfang an darauf aus, alles anders zu machen. Für unser Frühstück fahren wir zum lokalen Markt und zu einem Bauernhof in der Gegend, der von zwei Schwestern betrieben wird. Wir versuchen immer neue Verbindungen herzustellen, wo wir unsere Sachen herbekommen und gleichzeitig jemanden vor Ort unterstützen können. Es fühlt sich für uns so gut an, unseren Gästen ein Frühstück mit guten Produkten zu servieren, durch deren Kauf wir Bauern aus der Gegend unterstützen.”
“90% unserer Möbel im Haus sind wiederverwertet, aus zweiter Hand. Wir haben einen super guten Wasserfilter eingebaut, damit unsere Gäste das Leitungswasser trinken können und nicht extra zum Supermarkt fahren müssen, um dort Wasser aus Plastikflaschen zu kaufen. Das ist nicht nur gesünder, sondern spart auch erheblich viel Plastikmüll ein. In unserem Haus haben wir außerdem eine kleine Boutique, wo wir Sachen zum Verkauf ausstellen. Fotografien, ätherische Öle, Sonnencremes ohne schädliche Chemikalien, eben Produkte, hinter denen wir stehen und gleichzeitig Menschen vor Ort mit unterstützen können. Unseren Biomüll kompostieren wir und düngen damit unseren kleinen Gemüsegarten. Wir achten darauf, so viel wie möglich lokal zu halten, z.B. beziehen wir unsere Skateboards und Wetsuits von Unternehmen aus Portugal. Außerdem versuchen wir, so wenig wie möglich wegzuschmeißen. Wenn Sachen kaputt gehen, dann reparieren wir sie selbst, sofern es uns möglich ist.”
Über zukünftige Pläne und anstehende Projekte:
“Wir möchten unser Leben ein bisschen mehr strukturieren. Unser derzeitiges Lebensmodell, den Sommer am Meer und den Winter in den Bergen zu verbringen, gefällt uns sehr. Aktuell sind wir dabei, in der Schweiz eine Skischule zu gründen. In den letzten Jahren haben wir häufig gemerkt, dass Leute in saisonalen Jobs oft nicht fair behandelt werden und nicht das bekommen, was sie verdienen. Seitdem wir das Lemontree Haus haben, sind wir davon überzeugt, dass wenn man mit Liebe bei der Sache ist, seine Prinzipien verfolgt und sich engagiert, kann man durchaus mit großen Unternehmen mithalten, auch wenn man kleiner ist. Es heißt nicht, dass man keine Chance gegen 100-Zimmer-Hotels hat, nur weil man vielleicht nur drei Skilehrer oder drei, vier Zimmer in seinem Haus hat.”